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Flüchtlingssituation, Asylpolitik und Solidarität in der EU: Debatte im Innenausschuss

Europa hat Schwierigkeiten, sich auf effektive Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlings- und Migrationskrise, einer Krise, die sich „verschlimmert“, wie EU-Migrationskommissar Avramopoulos betont, zu einigen. Die europäische Einheit stehe auf dem Spiel, zugleich sei ein Anstieg des Populismus und Nationalismus zu verzeichnen. Die Mitgliedstaaten sollten ihre Versprechen einhalten und Solidarität zeigen: „Scheitert Schengen, so wird das Ende des europäischen Projekts eingeleitet.“

Der EU-Kommissar für Migration, Inneres und Bürgerschaft, Dimitris Avramopoulos, debattierte am Donnerstag (14.1.) mit dem Innenausschuss des EU-Parlaments über die bisherige Umsetzung der Maßnahmen zur Bewältigung der Flüchtlingskrise sowie den Vorschlag eines europäischen Grenz- und Küstenschutzes, der im Dezember 2015 vorgestellt worden war. Den Vorsitz der Debatte führte der britische EU-Abgeordnete und Ausschussvorsitzende, Claude Moraes (S&D).

Im September 2015 hat das EU-Parlament zwei Notfallmaßnahmen zur Umverteilung von 160 000 Asylsuchenden gebilligt. Diese sollten von vom Flüchtlingszustrom besonders betroffenen EU-Mitgliedstaaten auf andere Mitgliedstaaten verteilt werden. Bisher wurden jedoch nur 272 Flüchtlinge in andere Länder gebracht. Alle Mitgliedstaaten sollten sich an den Maßnahmen beteiligen und nicht zu Opfern ihrer innenpolitischen Agenden werden, appellierte Avramopoulos.

Zahlreiche EU-Abgeordnete schlossen sich diesem Standpunkt an, wie die Deutsche Cornelia Ernst (GUE/NGL). Sie fragte, wie es möglich sei, Maßnahmen umzusetzen, wenn die Mitgliedstaaten diesen nur mit einem entschlossenen „Nein“ begegneten.

Die Aufnahme von Flüchtlingen wird von der sogenannten „Dublin-Verordnung“ geregelt. Diese besagt unter anderem, dass derjenige Mitgliedstaat für das Asylverfahren zuständig ist, in dem ein Asylbewerber erstmals europäischen Boden betritt. Die Debatte im Innenausschuss zeigte einen breiten Konsens darüber, dass die derzeitige Gesetzgebung grundlegend überarbeitet werden müsse. Die EU-Kommission wird im März Vorschläge präsentieren. Der britische EU-Abgeordnete Timothy Kirkhope (EKR) warnte vor einer oberflächlichen Reform. Er hoffe auf eine „grundlegende Überarbeitung der Dublin-Verordnung“.

Wie die schwedische EU-Abgeordnete Anna Maria Corazza Bildt (EVP) anführte, sei es von großer Bedeutung, zu unterscheiden, wer das Recht auf internationalen Schutz habe und wer nicht. Das EU-Parlament arbeitet derzeit an der Erstellung einer gemeinsamen EU-Liste sicherer Herkunftsstaaten sowie einem permanenten Verteilungsmechanismus.

Die EU-Außengrenzen müssten ausreichend kontrolliert werden, um einen „Kollaps des Schengen-Systems“ abzuwenden, so die französische Abgeordnete Nathalie Griesbeck (ALDE). Die EU-Kommission schlägt in diesem Zusammenhang eine Aufwertung der Grenzschutzagentur Frontex vor. Frontex solle in bestimmten Fällen selbst ohne Zustimmung des entsprechenden EU-Mitgliedstaates vor Ort eingreifen können. Das EU-Parlament hat sich bereits für diesen Vorschlag ausgesprochen.

Der EU-Migrationskommissar hob die Notwendigkeit der Kooperation mit Drittstaaten hervor: „Wenn Drittstaaten nicht einbezogen werden, dann besteht keine Hoffnung.“ Birgit Sippel (S&D), EU-Abgeordnete aus Deutschland, hakte nach, ob diese Zusammenarbeit einer angemessenen Handhabung der Flüchtlingssituation dienen solle oder vielmehr dem Zweck, die Flüchtlinge „vor Ort zu lassen“. In eine ähnliche Richtung argumentierte die deutsche EU-Abgeordnete Ska Keller (Grüne/EFA). Berichten zufolge schicke die Türkei als direkte Konsequenz des Abkommens mit der EU bereits Flüchtlinge nach Syrien zurück.

Die Unterscheidung zwischen Flüchtlingen, Wirtschaftsflüchtlingen und Terroristen, die die Tragödie in Syrien nutzen, um unerkannt nach Europa zu gelangen, stellt die EU vor große Herausforderungen. Aufnahmezentren, sogenannte „Hotspots“, sollen in Griechenland und Italien die Registrierung der Flüchtlinge erleichtern. Zu den Maßnahmen zählen die Abnahme der Fingerabdrücke bei allen Migranten, die zügige Feststellung und Weiterlei­tung der Asylbewerber sowie die Schaffung angemessener Aufnahmekapazitäten.

Die EU steht hier jedoch erst am Anfang. Wie die italienische EU-Abgeordnete Laura Ferrara (EFDD) hervorhebt, funktionierten die Hotspots in Italien nicht und der Registrierungsprozess nehme zu viel Zeit in Anspruch. Des Weiteren komme den Menschen, deren Asylanträge abgelehnt worden waren, keinerlei Unterstützung zu und sie würden auch nicht zurück an die Grenze gebracht. EU-Kommissar Avramopoulos erklärte, an der Einrichtung der Hotspots werde laufend gearbeitet. Er verfolge die Entwicklungen. Der EU-Migrationskommissar argumentierte jedoch, dass „alle Mitgliedstaaten dafür verantwortlich seien, die Flüchtlinge in angemessener Weise zu empfangen“.

In der Debatte wurden zudem die Terroranschläge in Paris und Istanbul sowie die Übergriffe bei den Neujahrsfeierlichkeiten in Köln und in anderen Städten thematisiert. EU-Kommissar Avramopoulos forderte in diesem Zusammenhang ausdrücklich, die Themen Flüchtlinge und Terror nicht zu „vermischen“. Die niederländische EU-Abgeordnete Vicky Maeijer (ENF) bezeichnete die EU-Politik als „sehr gefährlich“ und forderte, „die Grenzen zu schließen“.

Die Krise wird in absehbarer Zeit nicht zu bewältigen sein. In diesem Bewusstsein verfolge die EU eine Reihe von „mittel- und langfristigen Maßnahmen, um ein dauerhaftes System für die Zukunft zu schaffen“, so Avramopoulos. Dazu zählten die finanzielle Unterstützung für die am stärksten Betroffenen, das „Grenz- und Küstenschutzpaket“, die Überarbeitung des Blue-Card-Systems, ein neues Ansiedlungssystem sowie das Paket „Intelligente Grenzen“, das für März erwartet wird.

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